Die „Europäischen Tage des Kulturerbes“ bieten Gelegenheit, schlesische Autoren deutscher Zunge dem polnischen Publikum näher zu bringen. In Landeshut in Schlesien (Kamienna Góra) wird am 14. September des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann gedacht.
180 Jahre ist es her, dass im niederschlesischen Peterswaldau (Pieszyce) und Langenbielau (Bielawa) im Eulengebirge ein Weberaufstand ausbrach. Das Aufbegehren wurde jedoch vom preußischen Militär niedergeschlagen, die Weber beklagten elf Tote und 20 Verletzte. Diese „Hungerrevolte“ der Weber machte der schlesische Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann zum Thema seines Dramas „Die Weber“, dessen Uraufführung am 25. September vor 130 Jahren in Berlin stattfand und infolge dessen Kaiser Wilhelm II. vor Wut seine Loge im Berliner Deutschen Theater kündigte.
Notlage der Weber in Versen
Beide Gedenkjahre, 1844 und 1894, macht das niederschlesische Webermuseum in Landeshut in Schlesien zum Thema der diesjährigen „Europäischen Tage des Kulturerbes“ am 14. September. „Die Notlage der schlesischen Weber im 19. Jahrhundert war Gegenstand zahlreicher literarischer Werke, die heute in Vergessenheit geraten sind“, heißt es in der Projektbeschreibung des Landeshuter Webermuseums. Den Teilnehmern des „Erbetags“ werden Gedichte und Dramenfragmente präsentiert, „die an das Phänomen der Poesie zum Thema Weberei und das Elend der Weber erinnern“, versprechen die Organisatoren. Auf diese Weise wolle man Werke schlesischer Autoren, die sich mit der Arbeit der Webereien am Ende des letzten Jahrhunderts in Schlesien beschäftigt haben, dem polnischen Publikum in ihrer Sprache vorstellen.
Im Rahmen der „Erbetage“ wird am 14. September in Landeshut an das Phänomen der Poesie zum Thema Weberei und das Elend der Weber erinnert.
Im Zentrum der Webertradition (Centrum Tradycji Tkackich) im oberschlesischen Neustadt O.S. (Prudnik) ist das Thema Gerhart Hauptmann und die Weber bereits seit mehr als zehn Jahren präsent. Ähnlich wie in Niederschlesien wurde auch in Neustadt nach Kriegsende die Bevölkerung fast vollständig ausgetauscht, und so muss auch dort viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit die polnische Bevölkerung das deutsche Erbe verstehen und annehmen kann.
Oberschlesisches Weberzentrum
Neustadt war ein wichtiges Zentrum der schlesischen Weberindustrie, dort lebte zudem Gerhart Hauptmanns Mäzen und Freund – der Textilmagnat Max Pinkus. „Was Gerhart Hauptmann und Max Pinkus verbindet, ist ihr Interesse an den Verhältnissen der Weber. Sie taten es jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven“, sagt Urszula Rzepiela, Autorin und Publizistin, die mehr als 20 Jahre Museumsleiterin in Neustadt war. Hauptmann beschreibe den Widerstand der Weber gegen die Mechanisierung der Weberindustrie und den Verlust ihrer Arbeitsplätze sowie Absatzmärkte, so Rzepiela, während Max Pinkus als ihr Arbeitgeber „diese Probleme zu minimalisieren versuchte“, betont sie. Noch bevor sie in Pension ging, konnte im Neustädter „Weberzentrum“ eine Dauerausstellung eingerichtet werden, die die enge Beziehung Gerhart Hauptmanns zu Max Pinkus dokumentiert. Pinkus hat zusammen mit Wiktor Ludwig die erste Hauptmann-Biografie herausgegeben und Gerhard Hauptmann setzte seinem Gönner Max Pinkus ein literarisches Denkmal. „In seinem zweiten Drama ‚Vor dem Sonnenuntergang‘ war der Hauptheld, ähnlich wie Pinkus, Fabrikant, Bibliophile, und er war sehr reich. Hauptmann war oft in der Pinkusvilla in Neustadt zu Gast“, berichtet der Germanist Marcin Domino. Der Neustädter Domino ist stolz, an der Dauerausstellung im Zentrum der Webertradition mitgewirkt zu haben. Darin wird unter anderem gezeigt, wie der Textilmagnat und Kunstsammler Pinkus wohnte. Anhand von Fotografien ist selbst sein Schlafzimmer nachgebaut worden: „Bekanntlich hingen über seinem Bett Bilder, Theaterplakate und Karikaturen von Gerhart Hauptmann. Pinkus war sehr begeistert vom Leben und Schaffen Gerhart Hauptmanns und weil er für ‚Die Weber‘ den Literaturnobelpreis erhielt, muss diese Tatsache gerade in Neustadt – der Weberstadt – auf Schritt und Tritt publik gemacht werden“, sagt er.
Relevantes Thema
Die Thematik der Weber ist heute noch relevant, so Germanist der Tomasz Cel, weil auch heute Menschen ausgeschlossen oder am Rande der Gesellschaft stünden. „Auch heute leben wir in Zeiten großer Umbrüche durch die Digitalisierung, die Rationalisierung der Beschäftigten und es gibt ein starkes Bedürfnis, darüber zu sprechen“, betont Cel. Er muss zunehmend beobachten, dass das Wissen um Gerhart Hauptmann unter den polnischen Studenten höher sei als unter Deutschen. „Deutsche Studenten der Geisteswissenschaften kennen Hauptmann nur noch vom Hörensagen und es ist schade, dass Hauptmann in Vergessenheit geriet“, bedauert er. Und dieser Zustand wird sich weiter potenzieren. Vor wenigen Tagen gab das Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz und Zittau, unmittelbar am Grenzfluss der Lausitzer Neiße, bekannt, seinen Namen aufzugeben und sich nach einem Sponsor zu benennen. Der Hintergrund mag vordergründig die fatale finanzielle Situation sein, doch so elegant zugleich einen unzeitgemäßen Literaten abzulegen, ist eben auch kein Tabu mehr.